Individuell bespielbare Bühne

In vier Wochen, mit limitiertem Budget und inmitten einer globalen Pandemie wurde der Umbau eines Genfer Wohnhauses unter der Leitung des Architekten Javier Müller gemeistert. 

Bild: Think Utopia

An das Projekt erinnert sich Javier Müller, der seit fünf Jahren sein eigenes Studio in Genf führt, mit einer gewissen Erleichterung. «Es war ein eigenartiger Auftrag. Einerseits wegen der einmaligen Umstände, die in Genf während der gesamten Planungs- und Bauphase herrschten. Andererseits waren Budget und Zeitdruck zusätzliche erschwerende Faktoren», erzählt Müller und fügt an: «Für die Bauherrschaft war ein temporärer Umzug während der Bauzeit nicht möglich. Deshalb mussten wir alles während ihrer Sommerferien machen. Wir hatten knapp einen Monat Zeit – und dies inmitten einer Pandemie!», sagt Müller schmunzelnd. Das Reiheneinfamilienhaus aus den 70er-Jahren, das im Sommer 2020 renoviert wurde, gehört einer jungen 4-köpfigen Familie, die unlängst von Hongkong nach Bellevue – einer Gemeinde am Genfersee – gezogen ist. «Das Bauherrenpaar hatte keine spezifischen Wünsche und war sehr offen. Sie wollten einfach ein frisches, behagliches Innenleben», sagt der Architekt, der von der unkomplizierten Zusammenarbeit mit den Hauseigentümern schwärmt. Gemeinsam mit ihnen und seinem Team entwickelte er diverse Konzepte, die sich während des Prozesses dynamisch entwickelten. Was anfänglich als Interieur mit viel Holz angedacht war, kristallisierte sich schliesslich zu einem schlicht-neutralen Innenausbau in hellen Tönen mit vereinzelten Akzenten in Holz, um Wärme in das Raumgefühl zu bringen. Grund für diesen Stilwechsel war die eklektische, holzlastige Möbelsammlung der Familie, die in diversen Grossstädten in Asien und Europa gelebt hatte. Die Möbel sollten nicht mit der Innenarchitektur konkurrenzieren, sondern sich harmonisch einfügen. Ausserdem mangelte es dem Interieur an Licht – ein zentrales Element in der Architektur von Javier Müller. «Das bestehende Erdgeschoss war regelrecht vermauert. Das Entrée mit integrierter Garderobe sowie die Küche waren geschlossene Räume; und ein langer, dunkler Flur führte zum Wohnbereich. Natürliches Licht gab es kaum», erinnert sich der Architekt an die Ausgangssituation. 

Bild: Think Utopia

Elegant-neutraler Rahmen
Das Erdgeschoss wurde komplett ausgehöhlt – einzig zwei Betonpfeiler sowie die seitlichen Betonmauern, die in einem warmen Grau-Khaki-Ton gestrichen wurden, liess der Architekt stehen. «Die ursprüngliche Kleinteiligkeit musste gebrochen werden, um ein familiäres, warmes Ambiente zu schaffen», so Müller. Die 65 m2 grosse Fläche konzipierte er als offenen Raum mit organisch ineinanderfliessenden Zonen. Vom Entrée blickt man über den ganzen Raum, bloss ein schlichtes Garderobenmöbel dient als Trennwand zur offenen, massgefertigten Schreinerküche. Eine hüfthohe Theke trennt diese vom Wohn- und Essbereich und lässt Tageslicht hindernisfrei in den Raum dringen. Um die Kosten des Projekts zu reduzieren, sind zwei Bauphasen vorgesehen. Das Obergeschoss, in dem sich die Schlafzimmer befinden, sowie das Dachgeschoss, das als Nähatelier genutzt wird, wurden deshalb nicht gleichzeitig mit dem Erdgeschoss saniert. Umso wichtiger war es, ein Element zu kreieren, das eine Verbindung zum künftigen Umbau schafft und für optische Einheitlichkeit sorgt: das Treppenmodul. Das Herzstück des Umbaus vereint Treppe, Cheminée sowie Stauraum und dient als optisches vertikales Verbindungsglied. «Das Modul ist äusserst funktional und wird nicht als einzelnes Element, sondern als Teil der Innenarchitektur wahrgenommen», ergänzt Müller.

Bild: Think Utopia

Feinheiten im Einklang
Im neu gebauten Erdgeschoss wurde jedes Detail sorgfältig ausgearbeitet, um den Raum so zurückhaltend und weitläufig wie möglich wirken zu lassen. «Je kleiner das Wohnobjekt, desto wichtiger sind die kleinen Details», fügt der Architekt an. Die Bodenplatten aus Keramik haben Dimensionen von 1,20 × 1,20 m und sind mit wenigen, feinen Fugen verbunden. Die Möbel sind alle griff- sowie sockellos und die Tür im Treppenmodul, die zum Keller hinunterführt, ist rahmenlos und überhoch. «Meine Architektur soll nie im Mittelpunkt stehen. Sie soll eher ein Rahmen, ein unbeschriebenes Blatt sein, das von den Bewohnern individuell bespielt werden kann», sagt Müller abschliessend. Eine Arbeitsphilosophie, die er beim Reiheneinfamilienhaus, das seine unverkennbare Handschrift trägt, trotz unberechenbarer Faktoren erfolgreich umgesetzt hat.

Bild: Think Utopia

Javier Müller
Der spanische Architekt studierte an der Technischen Universität in Madrid sowie am Illinois Institute of Technology in Chicago. Seit fünf Jahren führt er sein eigenes Studio in Genf und lässt bei seinen Projekten die Grenzen zwischen Architektur und Kunst verwischen. Zudem unterrichtet er an der Designschule Ipac Genève im Fach Interior Design.
javiermuller.com

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