Zuhause im Prozess

Es sind die Faszination für das Material und den Prozess des Wandels, die Juri Roemmel in seiner Arbeit antreiben. Seine Wohnung wird dabei zum Archiv und Spiegel dieser Neugierde. Ein Besuch bei einem Designer, der sich selber immer wieder aufs Neue die Carte blanche austeilt.

Bild: Ladina Bischof

Heller Fischgrätparkett zieht sich durch die 2,5-Zimmer-Altbauwohnung in der Nähe des St. Galler Bahnhofs, grossflächige Fensterfronten säumen beide Längsseiten. Der Vorhang vor dem Bett provoziert in zwei weichen Schwüngen die Gradlinigkeit der Architektur. Hinter dem transparenten Textil erscheint ein Regal in reduzierter Formensprache. Am anderen Ende des Raumes trennt eine grosse Schiebetür das Wohnzimmer vom Atelierbereich – die Tür wird jedoch nur selten zugeschoben. Früher befand sich in diesen Räumlichkeiten eine Druckerei und heute fliessen Arbeit und Wohnen ineinander über. Hier lebt der Designer Juri Roemmel mit seiner Partnerin Paula Knill. Die Wohnung wirkt als Resonanzraum ihrer Arbeitsprozesse. Von Roemmel gestaltete Produkte vermischen sich mit Prototypen und Materialexperimenten aus Glas, Ton oder Metall. Dazwischen setzen Kunstwerke und Trouvaillen Akzente. Auf dem Sideboard, gleich beim Eingang, steht die Schale «Fold», das jüngste Projekt von Roemmel, das er während den Zurich Design Weeks im Rahmen der Ausstellung «Raw Senses» vorgestellt hat. Hergestellt ist sie aus japanischem Washi-Papier. Es ist das Zusammenspiel des grobkörnigen Papiers mit einem Überzug aus Urushi-Lack, die der Schale ihr charakteristisch matt strukturierte Aussehen verleihen. Ein Produkt, das Gegensätze vereint: Das Papier, nach industrieller DIN-Norm im A-Format, trifft auf den langwierigen, traditionellen Prozess des japanischen Kunsthandwerks. Bis die unzähligen Schichten des natürlichen Urushi-Lacks vollständig getrocknet sind, vergehen bis zu vier Monate.

Bild: Ladina Bischof

Betrachtung als Ausgangspunkt
Juri Roemmel, 29 Jahre alt, ist gross von Statur und beim Besuch des Magazins trägt er Birkenstock-Sandalen an den Füssen. Spricht er über seine Arbeit, kommt seine Faszination für den Akt des Gestaltens zum Ausdruck. Deren Ursprung gründet in der Beobachtung der Veränderung, welche die Materialien in ihrer Weiterverarbeitung durchmachen. Dort liegt auch der Ausgangspunkt jeder neuen Arbeit. «Ich will mich dem Material, mit dem ich arbeite, hingeben und den Prozess, den es in der Bearbeitung durchmacht, miterleben», sagt Roemmel. «Die Beobachtungen, die ich so sammle, fliessen anschliessend in die Form des Produktes ein». Design, das in der Empirie gründet, das mit und nicht gegen das Material arbeitet: Exemplarisch ist dieser Ansatz auch im Regal «Rural» aus Ahornholz erkennbar. Die Konstruktion braucht keine Nägel oder Schrauben, die einzelnen Stücke sind so entworfen, dass sie sich nahtlos ineinanderfügen. Die Träger mit halbkreisförmigen Ausschnitten brechen im Profil die Gerade der Platten, die Kurven heben das Massige auf. Dieses Gegenüberstellen von klaren Linien und runden Formen ist ein wiederkehrendes Element bei den Werken von Roemmel. Das Resultat: zeitgenössisches Design, das im Bestehenden verwurzelt ist. Inspiriert ist das Regal von den Tellergestellen, bekannt aus dem traditionellen bäuerlichen Kontext. Obschon naturbelassene Materialien und reduzierte Farben dominieren, habe seine Arbeit durchaus auch eine spielerische Komponente, meint Roemmel. Erkenntlich wird das an «Duplex», welche die Typologie einer Vase auf ein Metallrohr mit Einschnitt und die Visualisierung einer Blume herunterbricht. In der Verbindung von Produkt und Drucksache entsteht so ein schon fast humorvolles Moment. Das Reizvolle sei, im Abwägen zwischen Standardisierung und Design die passende Balance zu finden, so Roemmel.

Bild: Ladina Bischof

Diversität wahrnehmen
Als Designer arbeitet Roemmel vorwiegend selbstständig und bedient verschiedene Disziplinen. Ob Produktentwürfe in der Innenausstattung, interdisziplinäre Kollaborationen mit anderen Kreativschaffenden oder in Eigeninitiative umgesetzte Kleinserien: Er will sich keine Schranken setzen, sondern gibt sich mit jedem neuen Projekt eine Carte blanche. Für den renommierten deutschen Möbelproduzenten Tecta hat er einen Stuhl entworfen, der derzeit in der Produktentwicklung ist. Diesen Sommer ist in Kollaboration mit seinem Bruder Henry Rausch ein Buch entstanden, das im Verlag Jungle Books herausgegeben wird. Die Galerie Okro vertreibt einige seiner Produkte. «An diesem Punkt in meinem Leben geht es mir darum, Diversität wahrzunehmen», beschreibt Roemmel sich selbst. Doch wie es scheint, verliert er sich nicht in dieser Vielfalt, sondern bleibt bei sich und seinem Stil, nah am Material und präzise in der Beobachtung des Prozesses.

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