Vom Rebell zum Popstar

1 — Was hattest du im Alter von 30 Jahren für Lebenspläne?
Zu reisen und verschiedene Kulturen kennen zu lernen. Das tat ich dann auch.

2 — Du lebst seit gut 30 Jahren in deinem Haus. Was bedeutet es für dich?
Das Haus gehörte einem Männerpaar, einer davon war ein thailändischer Prinz, der wollte hier nicht wohnen, und so habe ich es gekauft. Es ist seit 30 Jahren meine Zuflucht.

3 — Was bedeutet der Ort für dich?
Das Haus liegt mitten in der Landwirtschaftszone. Rundherum ist Natur, und ich sehe die Kühe grasen. Das mag ich sehr!

4 — Ich nehme an, du hast dein Zuhause mehrmals verändert?
Ungefähr alle zwei bis drei Jahre. Ich glaube, es ist weniger anstrengend, in der Einrichtung etwas zu verändern als an der Lebenssituation …

5 — Was hältst du von Dekoration?
Manchmal ist Dekoration wichtiger als die Möbel selbst.

6 — Welches Möbel hast du von Anfang an in deinem Haus?
Mein Bett «Anfibio», das eigentlich ein Bettsofa ist und ein wunderbarer Klassiker.

7 — Deine vier Wände sind sehr unschweizerisch, weil bunt, schräg, üppig. Wie bezeichnest du deinen Stil?
Ich habe nicht einen, sondern mehrere Stile. Auch Kunden rate ich zu unterscheiden, je nachdem, ob ein Wohnobjekt am Meer, in der Stadt oder in den Bergen liegt.

8 — Apropos Stil: Welchen generellen Rat gibst du beim Einrichten?
Ein bisschen dies, ein bisschen das: Wichtig ist, dass man sich selbst wohlfühlt.

9 — Im Winter wohnst du jeweils zwei Monate in Brasilien. Ist das Haus dort ähnlich eingerichtet?
Nein, ganz anders! Im Unterschied zu meinem Schweizer Haus habe ich jenes in Brasilien selbst gebaut. Ich hatte einem Architekturprofessor und seinen 18 Architekturstudenten den Auftrag gegeben, ein Haus zu entwerfen. Ich stellte mir eine Mischung zwischen Le Corbusier, Frank O. Gehry und Zaha Hadid vor. Logischerweise ist es sehr speziell geworden. Die Möblierung war dann eher Nebensache, da man ja fast immer draussen lebt. 

10 — Du hast vor 50 Jahren angefangen in der Branche. Wie hat sich diese verändert?
Früher waren die Kunden fast ausschliesslich Architekten oder Innenarchitekten, Intellektuelle oder Leute aus der Werbebranche. Heute ist das Thema viel mehr verbreitet. Übrigens zählen auch viele Politiker zu den Kunden: von der SP, der FDP, den Grünliberalen und der CVP – nur wenige von der SVP. Warum, ist mir ein Rätsel …

11 — Es war ja vor 50 Jahren deine Mission, italienisches Design und auch verrückte Dinge wie die Memphis-Kollektion in die Schweiz zu holen.
Vor allem war es die Idee von Elsbeth Schwarz, einer wunderbaren Person, von der ich so viel gelernt und der ich so viel zu verdanken habe. Mit ihr zusammen leitete ich während 16 Jahren das Zürcher Design­geschäft Neumarkt 17. 

12 — Welche fünf internationalen Brands haben dich in deiner ­langen Karriere begleitet?
Flexform, Cassina, B&B Italia, Kartell, ­Zanotta und viele weitere italienische Labels.

13 — Und deine Top 5 der Schweizer Designbrands?
Vitra, Wogg, Röthlisberger, Thut, Tossa und beim Licht noch Baltensweiler.

14 — Du kennst Krethi und Plethi in der Branche. Welches sind deine Lieblingsdesigner?
Philippe Starck, Antonio Citterio, Paola ­Navone, Vico Magistretti, das Gestalterpaar Tobia und Afra Scarpa sowie die Signora ­Urquiola. In der Schweiz Hannes Wettstein und Alfredo Häberli.

15 — Hast du auch junge Gestalter gefördert?
Nein, dafür junge Kunstmaler …

16 — Wenn du bei einem Umzug nur 10 Dinge aus deinem Haus mitnehmen könntest, welche wären das?
Ich würde nur die Natur mitnehmen, keine Gegenstände, denn ich hänge nicht an Dingen.

17 — Spiegelt das Daheim wirklich die ­Persönlichkeit des Bewohners?
Und wie!

18 — Dieses Jahr feiert das Bauhaus das 100-Jahr-Jubiläum. Wie siehst du diese ­Bewegung?
Es sind viele Klassiker davon geblieben. Diese zu mixen mit guter, spezieller und persönlicher Dekoration, ist der neue Trend. Dazu gehört auch, viel mehr Fantasie beim Einrichten walten zu lassen.

19 — Was hältst du vom Leitsatz «Form ­Follows ­Function»?
Ich experimentiere gerne, deshalb gefällt mir diese Maxime nicht so. Sie ist mir zu einfach und ist vielleicht gut für Leute mit wenig Fantasie, sorry.

20 — Bei dir geht es bunt zu und her. Was ­bedeutet Farbe für dich?
Farbe ist Leben, Leben ist Farbe.

21 — Hast du eine Lieblingsfarbe, die dich begleitet, oder wechselt diese auch?
Vor rund 25 Jahren habe ich den Dalai Lama bei einem Nachtessen kennen gelernt. Wir sassen am gleichen Tisch und haben uns lange unterhalten. Ich bewundere ihn sehr. Zufälligerweise trug ich einen orangefarbenen Pullover, den ich immer noch habe. Orange ist meine Farbe, auch wenn ich sie heute seltener trage. Ich war übrigens schon vor 40 Jahren in Laos und wollte damals sogar Mönch werden …
Kaum eine andere Persönlichkeit hat mehr bewegt in der Schweizer Einrichtungsszene als Ivano Colombo. Er ist 80, arbeitet seit 50 Jahren in der Branche und wohnt seit 30 Jahren im selben Haus im Zürcher Oberland. Grund genug, dem im Geiste jung gebliebenen Visionär 30 persönliche Fragen zu ­stellen. Wir haben ihn besucht und eine moderne Version der Villa Kunterbunt gefunden – mit zahlreichen ­persönlichen Objekten und vielen Erinnerungsstücken.
22 — Mit welchem Designer würdest du gerne ein Wochenende verbringen?
Mit Philippe Starck, einem spannenden ­Designer und einer tollen Persönlichkeit. 

23 — Welche Rolle spielt die Ästhetik in deinem Leben?
Wegen der Optik könnte ich niemals ein japanisches Auto fahren. Ich mag die Formen von Ferrari, Maserati, Jaguar, Aston Martin, Alfa Romeo, und ich liebe den Fiat 500.

24 — Und die Kunst?
Meine ersten Kunstwerke, die ich in jungen Jahren gekauft habe, waren eine Lithografie von Modigliani und später eine von Pablo Picasso. Ich habe gern runde Formen bei den Bildern und auch in der Architektur. Deshalb liebe ich die Architektur – oder ist es Kunst? – von Oscar Niemeyer.

25 — Und die Frauen …?
Für mich sind die Frauen – neben der gesamten Menschheit natürlich – die wichtigste Sache auf dieser Welt.

26 — Ist guter Geschmack eigentlich angeboren oder kann er erlernt werden?
Eine Mischung aus beidem.

27 — Wie oft warst du schon an der Mailänder Möbelmesse, und wie siehst du den Event heute?
50-mal. Heute ist die Messe vor allem Business und Kommerz. Die Kreativität ist leider in den Hintergrund gerückt, denn die Angst, etwas falsch zu machen, ist einfach zu gross.

28 — Du hattest viele Neider und Kritiker in deinem Berufsleben. Hast du heute viele Freunde in der Branche?
Mein Problem heute ist, dass ich keine Kritiker mehr habe. Entweder haben die Kritiker resigniert oder sich an mich gewöhnt.

29 — Man sagt, du seist der Popstar der Schweizer Designszene.
Vor 40 Jahren war ich noch der junge Rebell, und heute soll ich also der Popstar der Inneneinrichtungsbranche sein? Offen gesagt, das ehrt mich schon.

30 — Wie wohnen wir in 30 Jahren?
Schwer zu sagen. Ich frage mich eher, wie ich in 30 Jahren wohne. Ich denke, dass ich einige Zeit als Tellerwäscher im Purgatorium (zu Deutsch: Fegefeuer) verbringen werde und nach einigen Jahren meine Mutter im Himmel besuche: im Paradies voller Designmöbel…•

Zur Person
Ivano Colombo wuchs in Lugano auf, wo seine Eltern ein Delikatessengeschäft führten und er das Gymnasium absolvierte. Mit 20 zog es ihn nach Zürich. Er arbeitete bei unterschiedlichen Firmen und verdiente vor allem Geld, um zu reisen. Als er 29 Jahre alt war, kam er zufälligerweise beim Zürcher Fachgeschäft Neumarkt 17 vorbei, trat ein und war fasziniert von der Welt des Designs. Er bekam einen Job und blieb 16 Jahre lang. 1985 gründete er dann zusammen mit Karin Bollinger und Peter Kern – bis heute seine engsten Weggefährten – sein eigenes Geschäft Colombo in der Mühle Tiefenbrunnen in Zürich. Nach dem Verkauf an Teo Jakob rief Ivano Colombo einen neuen Laden im Hürlimann-Areal ins Leben: Colombo la famiglia. Vor vier Jahren zog er mit seinem Laden an die Zürcher Goldküste ins ehemalige Verkaufslokal von Red Box. Ruhestand ist nichts für den 80-Jährigen. Er fährt täglich ins Geschäft, gönnt sich nur im Winter eine zweimonatige Pause, die er in Salvador de Bahia in Brasilien, seinem zweiten Wohnsitz, verbringt.

colombo-lafamiglia.ch

Wort
Katrin Ambühl

Bild
Simone Vogel
379.ch

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