Patchworkmuster

Seit ich denken kann, habe ich mehrere Zuhause. Da das kreative Durcheinander auf der einen Seite, dort die aufgeräumte Gemütlichkeit auf der anderen. Zwischen beiden Familienpolen pendelte ich wöchentlich, per Bus, Trottinett, Velo oder zu Fuss. Das war mir die normalste Sache der Welt. In der Planung, was ich schon am Donnerstag für das ganze Wochenende brauchen würde, war ich dementsprechend eine früh bewanderte Expertin. Ein Grund, wieso das Planungsgen wohl immer noch höchst ausgeprägt in mir vereint und mein Rücken schon ziemlich groggy ist. Und nicht nur diese zwei Zuhause waren es, nein. Meine Wohnort-Schmetterlings-Sammlung beläuft sich mittlerweile auf insgesamt vierzehn schillernde Exemplare! Da wäre die kleine Wohnung an der Spitalstrasse in Basel direkt über einer Kreuzung, wo ich mich an stundenlange Fensterbeobachtungen und regen­zerflossene Autolichter erinnere. Dort war der Backsteinblock mit Dachterrasse, neben einer ehemaligen Brauerei. Mir blieb besonders das Bild, wie ich mich als Fünfjährige in jenem Badezimmer einschloss und mir nonchalant die Haare schnitt. Dann wieder der Wechsel in eine grosszügige Dachwohnung, in der wir eine Schaukel, ein Trapez, eine Reckstange und etliche Turnmatten für meine akrobatische Phase bereithielten. Weiter ging es an die Gundeldingerstrasse, wo überall Schatztruhen und Abenteuer auf mich und meine Freundin, die mir als grosse Schwester galt, warteten. Da wäre mein Zimmer an der Elsässerstrasse, das bei jedem vorbeifahrenden Tram erzitterte. 

Von meinem Bett aus überblickte ich den ­
St.-Johanns-Park und die Eichhörnchen, die über die Äste huschten. Hier versteckte ich zwecks offenbar akutem, jugendlichem Salzmangel einmal ein ganzes Aromat-Döschen hinter dem Bett und naschte beim stundenlangen Schmökerlesen von Zeit zu Zeit davon. Da schliesslich das Haus, das wir von den Grosseltern übernahmen. Im Garten kuscheln sich Pfingstrosen, Nachtkerzen, Lavendelsträucher, Zwetschgen, Holunder, Kirschen, Mirabellen und Johannisbeeren aneinander. Im Hausinneren leuchtet der Dielenboden vom Sonnenlicht, die Räume erzählen ihre eigenen Geschichten. 

Und nun füge ich ein neues Zuhause hinzu. Mein eigenes, in Bern. Ohne die anderen beiden zu verlieren. Ich nenne jeweils das Besuchen meines Freundes in Zürich und meiner Eltern in Basel meine kleine Schweizerreise. Und überall fühle ich mich daheim. Was hat es also damit auf sich, mit diesem ominösen Zuhause? Vor einigen Jahren schrieb ich einen Slam-Text zu meinem Patchworkkind-­Dasein. Darin hielt ich fest, was ein Zuhause haben muss: «Ein Bett. Ein warmes Gefühl in der Magengegend. Stühle, Tische. Nischen. Schokolade. Essen sowieso. Eine Gitarre oder ein Klavier, es muss verstimmt sein. Ein Buch, zerfleddert und zerlesen. Und jemand, der da ist.» Den Gedanken meines alten Ichs füge ich nur hinzu: Zuhause klingt wie Sufjan Stevens «Mystery of Love», riecht wie Kaffee, wärmt wie Daunenfedern, sieht immer anders aus und doch ist es immer dasselbe Gefühl.
Die 22-jährige Slam-Poetin hat in der Schweiz diverse Preise an Poetry-Slam-Veranstaltungen abgeräumt. Sie studiert Germanistik und ­Psychologie an der Universität Bern und schreibt leidenschaftlich Texte und Gedichte.

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