Die Schweiz hat beste Ausbildungsstätten, ein reiches Designerbe und ist Drehscheibe für Forschung und Entwicklung. Beste Voraussetzungen eigentlich. Doch wie steht es ums hiesige Designschaffen?
Die Design-Consultant und Design-Kuratorin Giovanna Lisignoli beschäftigt sich seit über 20 Jahren mit Design in seinen unterschiedlichsten Ausprägungen. Die Wohnrevue hat sich mit der Wahlzürcherin unterhalten.
Giovanna Lisignoli, lässt sich heute noch definieren, was Schweizer Design ausmacht?
Das ist eher schwierig festzumachen. Es besteht die Gefahr, in Stereotype abzugleiten und dem Thema nicht gerecht zu werden. Die Definition ist zudem stark von der Sparte abhängig. Dem Produktdesign kann man sicherlich einen hohen Qualitätsanspruch zuordnen. In der Formensprache ist oft Zurückhaltung anstelle von Üppigkeit festzumachen. Insgesamt lässt sich wohl eine gewisse Wertehaltung in Bezug auf Gestaltung orten, die sich durch Nachhaltigkeit, Verlässlichkeit und Klarheit auszeichnet.
Sie lebten 20 Jahre in London. Wie wird Schweizer Design international wahrgenommen?
Der Begriff «Swiss Design» wird vor allem mit dem prägnanten Grafikdesign und der Schriftgestaltung in Verbindung gebracht. Zudem sind die Möbelentwürfe der 1950er-Jahre im Gedächtnis verankert. Obwohl der allgemeine Blick auf das Schweizer Designschaffen eher rückwärtsgerichtet ist, gibt es zunehmend Schweizer Designerinnen und Designer, die auf der internationalen Bühne agieren und das Bild neu prägen. Dazu kommt die internationale Strahlkraft von Schweizer Ausbildungsstätten, wie zum Beispiel der ECAL, die Studierende aus aller Welt anzieht. Diese tragen im Gegenzug den Ruf des Schweizer Designs in die Welt.
Ist es überhaupt noch sinnvoll, länderspezifische Eigenheiten im Design feststellen zu wollen?
Ich empfinde das länderspezifische Attribut bisweilen sogar als kontraproduktiv. Der Begriff Schweizer Design ist meiner Meinung nach immer noch stark im Historischen verhaftet oder wird mit ikonischen Schweizer Marken in Verbindung gebracht. Eine solche Einordnung wird dem zeitgenössischen Design nicht unbedingt gerecht. Eine länderspezifische Definition kommt in der Umgangssprache dann zum Einsatz, wenn sich in einem spezifischen kulturellen Kontext eine unabhängige und eigenständige Designszene etabliert, die Neues wagt und sich ausserhalb einer Nische vernetzt und exponiert.
Seit einiger Zeit leben Sie wieder in der Schweiz. Was stellen Sie fest, wenn Sie die hiesige Designszene betrachten?
Es gibt immer wieder Spannendes und viel Talent zu entdecken. Unabhängiges Design scheint hier jedoch einen schweren Stand zu haben. Wer in diesem Bereich weiterkommen will, sucht die Zusammenarbeit mit internationalen Galerien oder Unternehmen, um seine Arbeit zu realisieren oder einem interessierten Publikum vorzustellen. Interessanterweise sind Schweizer Designschaffende, die sich im Ausland einen Namen gemacht haben, in der Folge auch hierzulande sehr gefragt. Dies wirft die Frage auf, ob hier das breite Publikum fehlt, um neue Designansätze aufzugreifen oder ob die Vorstellung davon, was Design ist oder sein kann, enger gefasst ist. Darüber hinaus scheint es eine zunehmende Beachtung für Designschaffende zu geben, die sich ausserhalb des Produktdesigns bewegen und für «Kunst am Bau»-Projekte engagiert werden sowie öffentliche Aufträge für Raumkonzepte erhalten.
Im Rahmen der diesjährigen Zurich Design Weeks haben Sie die Ausstellung «The Office» mit kuratiert. Dabei legten Sie den Fokus auf interdisziplinäres und experimentelles Schaffen. Wie ausgeprägt wird dieser Ansatz in der Schweiz praktiziert?
Leider noch viel zu wenig – oder es bleibt im kleinen Kreis verborgen. Das Experimentelle und Transdisziplinäre scheint hier wenig Platz zu haben, obwohl die Schweiz als Hochburg für Forschung und Entwicklung einen fruchtbaren Boden dafür bieten würde. Das positive Feedback zur Ausstellung «The Office» zeigte eindeutig, dass neue Plattformen und Freiräume gefragt sind, um solche Ansätze zu fördern und an die Öffentlichkeit zu bringen. Die Dynamik einer wachsenden internationalen Community von jungen Designschaffenden, die aus Architektur, Kunst oder Forschung kommen, bringt inspirierende, neue Designansätze.
Als Design-Kuratorin beschäftigen Sie sich mit unabhängigem Design. Welcher Art von Projekten sind Sie kürzlich begegnet?
Mir sind eigenständige Projekte aufgefallen, die neue Ausdrucksformen erproben und Gegebenheiten in ein neues Licht rücken. Dadurch werden nicht nur neue Formensprachen entwickelt, sondern Aussagen über die Wahrnehmung und das Potenzial von Design gemacht. Die Projekte von Dimitri Bähler und Kueng Caputo etwa zeigen, was eigenwillige Gestaltungsansätze an der Schnittstelle zu anderen Bereichen leisten können. Weitere Projekte, wie beispielsweise Meubles Meldem, fallen durch verspielt wirkende Möbelentwürfe auf, die nicht in der Gestik stecken bleiben, sondern trotz einfacher Konstruktion und Materialien sehr durchdacht sind und neue Formensprachen hervorbringen.
Was wünschen Sie sich für das Schweizer Designschaffen?
Es bräuchte noch mehr Freiräume. Dies würde bedeuten, mehr Raum für experimentelle Ansätze zu schaffen, die nicht von vornherein auf Marktbedürfnisse getrimmt wären. Dafür bietet die Schweiz mit den hohen Lebens- und Produktionskosten jedoch nicht die besten Voraussetzungen. Ganz generell wünschte ich mir mehr Austausch und Öffnung, um unsere kulturelle Landschaft auch für internationale Designschaffende zu öffnen.
Weitere Artikel zum Thema Schweizer Design lesen Sie in der aktuellen Ausgabe 11-23.
Giovanna Lisignoli
Die Design-Consultant und Design-Kuratorin lebte über zwanzig Jahre in London. Seit 2020 liegt ihr Lebensmittelpunkt wieder in der Schweiz. Von Zürich aus geht die gebürtige St. Moritzerin ihren Projekten nach. Mit Second Nature betreibt Lisignoli eine nomadische Galerie, die sich auf künstlerische Ansätze an der Schnittstelle zwischen Design, Kunst, Handwerk und Materialforschung konzentriert. Darüber hinaus kuratiert sie Projekte und Ausstellungen und ist
als Consultant tätig.
secondnature.ch