Chalet mit Tiefgang

Die grösste Hürde für die Architekten Lazzarini Pickering waren die strengen Engadiner Bauvorschriften, die lokaltypische Bauformen vorschreiben und eine maximale Gebäudehöhe definieren. «Wir haben diese beiden Punkte nicht als Einschränkung betrachtet, sondern sie zu architektonischen Hauptmerkmalen des Projekts gemacht», erklärt Carl Pickering, Partner des Architekturbüros. «Mit viel Respekt für die traditionelle Baukunst, aber auch mit klaren Visionen haben wir uns ans Werk gemacht. Unser Ziel war es,  die Chaletarchitektur neu  zu interpretieren», sagt der italienische Architekt, der ursprünglich aus Australien stammt und seit den 80er-Jahren in
Italien lebt. Deshalb haben sich die Gestalter nicht für eine klassische Holzkonstruktion entschieden, sondern für einen Bau mit Stahl und Glas. Die grossen Fenster liegen hinter
einer offenen Holzlamellenstruktur. Im Innern ist der schwarze Stahl omnipräsent – bei Stützen, Fensterrahmen, Treppe und Cheminée. Ein Gegengewicht zum kühl wirkenden Metall bildet Holz, das grosszügig im Innenausbau und bei der Möblierung eingesetzt wurde. 

Kochen und Essen im Untergrund
Um die von den Bauherren gewünschte grosse Wohnfläche –
die Nutzungsfläche beträgt 650 m2 – generieren zu können, hatten die Architekten nur eine Möglichkeit: Sie mussten in die Tiefe bauen, da Volumen und Gebäudehöhe gesetzlich beschränkt waren. Deshalb entwickelten sie ein Raumkonzept, das sich über insgesamt fünf Stockwerke erstreckt, drei davon im Untergrund. Im Erdgeschoss befinden sich der Wohnbereich und ein grosses Esszimmer, auf der ersten Etage Mas­terbedroom mit Bad, eine Lounge sowie eine Terrasse. Auf den Ebenen im Untergrund liegen die Küche, ein weiteres  Esszimmer, vier Gästezimmer und ein luxuriöser Spa-Bereich.

Die Hauptmaterialien Holz, Glas und Stahl ziehen sich durchs ganze Gebäude und bilden eine Art Bühne. Diese bespielten die Architekten mit Elementen der klassischen Engadiner Architektur, zum Beispiel Sgraffito-Verzierungen im Badezimmer, verzierte Holztüren oder Wandverkleidungen. Vor allem für die Gestaltung der unterirdischen Geschosse griffen die Architekten auf solche traditionelle Stilmittel zurück, und zwar aus einem bestimmten Grund: «Diese Zonen sollten nicht wie ein Bunker wirken, schliesslich erwartet man von einem Ferienhaus in den Bergen einen hohen Gemütlichkeitsfaktor», führt Pickering aus. Die beiden Balkone auf den obersten Stockwerken sind als Loggias konstruiert, nicht nur aus witterungstechnischen Gründen, erklärt Architekt Pickering: «Wir wollten der Aussicht eine Art Rahmen geben, denn wenn man mitten in der Natur lebt, neigt man dazu, diese gar nicht mehr wahrzunehmen.»

Alt und Neu Hand in Hand
Eine wichtige Rolle neben den Architekten spielte eine Innenarchitektin: die Italienerin Michela Curetti, die ein eigenes Studio in Mondovì im Piemont führt. Sie hat den schwarzen Stahl, der die Architektur entscheidend prägt, aufgenommen und diverse Elemente aus demselben Material gestaltet.
Allen voran das Treppengeländer, das Cheminée und die schönen traditionellen Beschläge von Schränken und Küchenmöbeln. Die Gestalterin wollte in erster Linie ein harmonisches, durchgängiges Ambiente schaffen. «Zudem sollte aber auch ein Gefühl von Wärme und Gemütlichkeit entstehen», ergänzt Curetti. Deshalb hat sie gemusterte sowie einfarbige Textilien eingesetzt und ausgewählte Accessoires platziert.
Ein Architekturbüro aus Rom hat sich mit der Schweizer Chalettypologie befasst und ein Gebäude entworfen, das Tradition und Moderne, Offenheit und Rückzug miteinander verbindet. Es liegt einen Katzensprung vom mondänen St. Moritz entfernt, fügt sich unauffällig in die Berglandschaft ein und bietet viel Wohnraum – auch im Untergrund.
Der Ort mit dem ausgeprägtesten Chaletcharakter ist das Esszimmer im Erdgeschoss, das für grosse Einladungen gedacht ist. Es ist mit einem Holztisch und alten Stabellen aus dem Engadin eingerichtet. Ein liebevoll gestaltetes Plätzchen – vielleicht das speziellste im Gebäude – ist die von einem breiten Stahlrahmen gefasste Fensterbank, die als lauschiger Sitzplatz angelegt ist. Auf einer massgeschneiderten gepolsterten und mit vielen Kissen dekorierten Bank hat man einen wunderbaren Blick durch die dreifach verglasten Fenster hinaus in den für das Engadin so typischen Lärchenwald, der sich im Herbst jeweils leuchtend gelb verfärbt.

Während man in den oberen Geschossen ganz nah bei der Natur lebt und die Aussicht auf das weite Bergtal mit Silvaplaner- und Silsersee geniesst, findet man auf den unterirdischen Etagen ein privates, intimes Ambiente mit hohem Gemütlichkeitsfaktor.

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