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Schicht um Schicht

Wort: Bernadette Bissig / Bild: Ludovic Balland
Textilien tragen Wesentliches zu einem stimmigen Raumgefühl bei. Dies war auch bei den Projekten der Architektin Lux Guyer der Fall, die ab 1924 ihr eigenes Architekturbüro in Zürich betrieb. Beim Objekt Obere Schiedhalde in Küsnacht wurde den Textilien bei der Renovation viel Aufmerksamkeit und Sorgfalt zuteil.

Die Textildesignerin und -entwicklerin Annette Douglas ist neben ihren Aufträgen im Technik- und Akustikbereich regelmässig in der Raumgestaltung tätig und immer wieder in Projekte mit historischem Kontext involviert. So auch beim Objekt Obere Schiedhalde, über dessen Gestaltungsprozess letztes Jahr im Park-Books-Verlag eine Monografie erschienen ist. Das Schlüsselwerk Lux Guyers aus dem Jahre 1929 wurde in den vergangenen Jahren von den Architekturbüros Christ & Gantenbein und Sven Richter umfassend sowie sorgfältig renoviert. Gemäss der Vision der Bauherrschaft und des Architektenteams sollte es ein Projekt werden, das weit über eine reine denkmalpflegerische Renovierung hinausging. Entsprechend war ein interdisziplinäres Team am Werk, das sich den Bereichen Architektur, Landschaftsarchitektur, Bauforschung, Möbeldesign, Farbexpertise und Textilgestaltung annahm. Dadurch wurden sämtliche Aspekte zu einem Gesamtkonzept geführt. Zur Zusammenarbeit hatte das Gestaltungsteam folgendes Bild im Sinne: «Wir stellen uns einen kunstvollen Teppich aus verschieden gefärbten Fäden vor. Zusammen ergeben die vielen Fäden ein wunderbar dichtes Gewebe mit variierenden Mustern.»
Ganz in diesem Sinne agierte auch die Textildesignerin Annette Douglas: «In der Oberen Schiedhalde bietet jede Blickachse eine Collage von Material, Farbe, Muster und Kontraste.» Die Architektin Lux Guyer habe ein undogmatisches, gekonnt komponiertes Zusammenspiel geschaffen.

Affinität zu Textilien
Douglas, die schon öfters mit Christ&Gantenbein zusammengearbeitet hat, war von Anfang an in das Projekt involviert. Die Arbeit der etablierten Designerin kam jedoch erst am Schluss zum Zug, als die Besitzerfamilie bereits eingezogen war. Abgesehen von funktionalen Vorgaben liessen sie der Textildesignerin bei der Gestaltung der Vorhänge freie Hand.
Die Gestalterin hatte sich intensiv mit Guyer – die in der Schweiz als erste Frau ein eigenes Architekturstudio gegründet hatte und selbstständig tätig war – auseinandergesetzt. Douglas vertiefte sich in ihr Werk und machte Materialstudien. Fotografien aus jener Zeit gaben ihr einen Einblick, wie Guyer Innenräume gestaltete und wie sie Textilien einsetzte: «Ihre Affinität zu Textilien war offensichtlich – im Stil näher an der Arts-and-Crafts-Bewegung als am Bauhaus.» Die Häufung von Textilien in der Raumgestaltung habe sicherlich den damaligen Gepflogenheiten entsprochen, sei aber zusätzlich noch durch Guyers Umfeld geprägt gewesen. Ihre Schwester Rosie Guyer führte ein Modeatelier in Zürich, zudem war sie mit den Künstlerinnen und gelernten Stickereidesignerinnen Luise Meyer Strasser und Bertha Tappolet befreundet gewesen.

Akribische Recherche
Aus den historischen Fotografien der Werke Guyers konnte Douglas auch interessantes Detail herauslesen, etwa dass die Länge der Vorhänge nur bis zu den Fensterbrettern oder bis auf die Sockelleisten reichte. Da die Fotos in schwarzweiss waren, liess sich die Struktur der Textilien hingegen nur erahnen. Dank einer glücklichen Fügung hatte die Textildesignerin in der Projektphase jedoch die Möglichkeit, in einer Ausstellung des Gewerbemuseum Winterthur Stoffe von Guyer betrachten zu können.
Einen weiteren Einblick erhielt Douglas durch die Besichtigung von deren Projekten in der Lenzerheide, die teilweise noch mit Originaltextilien wie Teppichen, Vorhängen und Bettüberwürfen ausgestattet waren. Von diesen Quellen ausgehend zeigte sich, dass Guyer robuste und charaktervolle Stoffe wählte, die mal unifarben, mal kariert, bedruckt oder bestickt waren. Entsprechend setzte Douglas für die Obere Schiedhalde Textilien ein,03 welche die Qualität des Handwerks und die haptische Schönheit des Materials zum Ausdruck bringen. So entschied sie sich bei den Tagesvorhängen für italienischen Leinenstoff aus gebrochenem Weiss. Bei den Nachtvorhängen kam ein gewalkter Lodenstoff aus der Steiermark zum Einsatz, der Bezug auf Struktur und Farbe der Wände nimmt. Die Kinderzimmer hingegen zieren gemusterte Vorhänge aus bedruckten Leinen- und Baumwollstoffen von William Morris. Dadurch stehen die schlichten Vorhangtextilien in Dialog mit den expressiven Möbelstoffen und Teppichen.


 

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