Kantholz und Flügelmutter

Die Röthlisberger Kollektion lanciert einen neuen Tisch. Wir nehmen den Entwurf vor Ort genauer unter die Lupe.

Bild: Florian Spring

Verschachtelte Produktionshallen und ein Bürogebäude mit patinierter Holzfassade schmiegen sich am Ende des Sägewegs in Gümligen bei Bern aneinander. Das Gebäudekonglomerat beheimatet den Geschäftssitz der Firma Rö. Jan Röthlisberger empfängt uns im Showroom der Kollektion, der fliessend in die angrenzenden Büroräume übergeht. Im Vorbeigehen grüsst Beat, der Jüngste der drei Brüder, die sich allesamt im Betrieb engagieren. Hinzu stösst nun auch Jungdesigner Marc Gerber. Für die Röthlisberger Kollektion hat er kürzlich während der Mailänder Möbelmesse den Tisch «Winku» vorgestellt. Heute sprechen wir mit ihm über seinen zweiten Entwurf für Rö.

Bild: Florian Spring

Die Kollektion als Aushängeschild
Doch zuerst werden wir auf einen Kaffee in den Pausenbereich der Produktion eingeladen. Dort treffen sich die Mitarbeitenden gerade zur obligaten Znünipause. Gemütliches Geplauder liegt im Raum, Fotograf Florian Spring trifft auf ehemalige Arbeitskollegen – er hat hier seine Schreinerlehre absolviert und ist dabei für Auftragsarbeiten bis nach New York gereist. Und schon sind wir mit unserem Gespräch mitten in der vielseitigen Tätigkeit des Betriebs angekommen. Die 1928 gegründete Schreinerei führt heute umfassende Innenausbauten aus. Mit dem Aufbau der Röthlisberger Kollektion etablierte sich das Unternehmen ab 1977 als Fixpunkt in der Schweizer Designszene. «Die Möbel sind unser Aushängeschild», so Jan Röthlisberger. «Sie vermitteln unsere erfinderische Neugier im Suchen von Umsetzungslösungen. Besonders wenn es um Massanfertigungen geht, ist das hilfreich», führt er weiter aus.

Bild: Florian Spring

Inspiration aus dem Archiv
Die Kollektion umfasst Entwürfe von einflussreichen Autoren des Schweizer Designs: Trix und Robert Haussmann, Teo Jakob, Susi und Ueli Berger oder Hans Eichenberger steuerten Möbel bei. Letzterer hat in den 1960er-Jahren einen Sessel entworfen, der Marc Gerber jüngst zu seinem Tischentwurf veranlasste. «Beim Durchstöbern des Archivs von Rö habe ich den Loungesessel HE 9×9 entdeckt», erinnert er sich. Eichenbergers Entwurf baut sich aus Balken von 9 auf 9 cm auf. Sichtbare Schlossschrauben und handelsübliche Flügelmuttern verbinden die einzelnen Kanthölzer. Angetan von der archaischen Konstruktion und dem Spiel mit den massiven Balken machte sich Gerber an die Arbeit, um ein Zitat an die Kreation des Berner Architekten zu entwickeln.

Bild: Florian Spring

Der Winkel als Gestaltungselement
Angekommen in der Montagehalle, stossen wir auf das Ergebnis von Gerbers Entwurfsprozess. Jan Röthlisberger und Marc Gerber tragen den Tisch zur genaueren Betrachtung in das angrenzende Massivholzlager. In gekonnter Manier hat der Jungdesigner die eingesetzten Elemente auf das Wesentliche reduziert. Dank der um 45 Grad gedrehten Balken verkeilen sich die Einzelteile des Tischgestells ineinander. Diese simple Geste verleiht dem «Winku» die geforderte Stabilität, das gewisse Etwas sowie seinen Namen. Zwei Flügelmuttern, wie sie von Eichenberger eingesetzt wurden, halten die Balkenkomposition zusammen und setzen einen Akzent zur archaischen Formensprache. Die reduzierte Konstruktion eignet sich bestens für den Einsatz in diversen Settings − die Dimensionen lassen sich auf verschiedenste Raumverhältnisse anpassen.

Bild: Florian Spring

Vor dem Tor des Holzlagers stellen sich Jan Röthlisberger und Marc Gerber dem Blitzgewitter von Florian Spring und posieren mit dem Tisch. Dann verabschieden wir uns bereits wieder und sind gespannt, wie Fachhandel und Kundschaft den Tisch aufnehmen werden. Unser Fazit fällt auf jeden Fall positiv aus.
roethlisberger.ch

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