Gemeinsam gewinnen

Wort: Anina Cammarota / Bild: ZVG
Bodenknappheit in Städten ist allgegenwärtig. Doch was passiert mit den Zwischenräumen dazwischen – jenen Flächen, die weder Wohn- noch Arbeitsort sind? Wer nutzt sie, und wie werden sie gestaltet? Urbanista denkt städtische Lebensräume ganzheitlich – und verbindet Mobilität, Mensch und Nachhaltigkeit. Wir haben uns mit dessen Geschäftsleitungsmitglied Thomas Hug-Di Lena über die Zukunft öffentlicher Räume unterhalten.

Im Projekt der Gemeinde Lyss diente ein Stadtlabor dazu, Massnahmen im öffentlichen Raum zu testen und gab der Bevölkerung die Möglichkeit, sich aktiv mit den lokalen Bedürfnissen auseinanderzusetzen.

Thomas Hug-Di Lena, wie hat sich die Rolle öffentlicher Plätze in unserer Gesellschaft gewandelt?
Einst waren sie multifunktionale Lebenszentren der Stadt – Orte des Handels, der Gemeinschaft und der Politik. Die Einführung der Kanalisation im 19. Jahrhundert befreite sie von Schmutz und Gestank und machte sie zu nutzbaren Räumen für alle Bürger. Doch der Aufstieg des Automobils kehrte diese
Entwicklung teilweise um. Strassen und Plätze wurden von Fahrzeugen dominiert, Menschen an den Rand gedrängt. Der öffentliche Raum verlor seine soziale Dimension zugunsten von Verkehrseffizienz. Heute suchen wir nach einer neuen Balance: Wie schaffen wir öffentliche Räume, die klimafreundlich sind, persönliche Begegnung ermöglichen und unterschiedliche Nutzungsansprüche integrieren?

Welche positiven Effekte sehen Sie darin und warum werden sie immer wichtiger?
Je dichter unsere Städte bebaut werden, desto wichtiger werden diese gemeinsamen Freiräume als Ausgleich zum begrenzten Wohnraum. Sie bieten der Bevölkerung Erholungszonen, in denen sie durchatmen können. Nicht zuletzt stärken charakteristische öffentliche Räume in einer zunehmend globalisierten Welt das Gefühl lokaler Identität und Zugehörigkeit. Angesichts des Klimawandels übernehmen öffentliche Plätze zudem wichtige ökologische Funktionen als Kühlinseln und Wasserspeicher.

Ihr Unternehmen integriert auch das Unmittelbare. Was möchten Sie damit erreichen?
Wir versuchen in unseren Projekten, immer auch experimentelle Sofortmassnahmen mitzudenken: Was kann schnell umgesetzt werden, um die Akzeptanz unserer Planungen zu prüfen? So kann unsere Planung flexibel auf neue Bedürfnisse reagieren.

Wie wichtig ist die Einbindung der Bevölkerung in die Planung öffentlicher Räume? Haben Sie Beispiele für erfolgreiche partizipative Projekte?
Die Einbindung der Bevölkerung ist eine tragende Säule unserer Projekte. Wir haben gute Erfahrungen damit gemacht, dass wir die Beteiligung und die Planung aus einer Hand anbieten können: So kann die Mitwirkung ehrlich erfolgen und es gibt weniger Reibungsverluste. Am meisten freut es uns, wenn die verschiedenen Positionen im Rahmen unserer Workshops zu verschmelzen beginnen. Aktuell erarbeiten wir mit dem Pilotquartier Netto-Null in Zürich einen sechsjährigen Partizipationsprozess, um Klimaschutz als gemeinsame Mission der Stadtbevölkerung zu lancieren. Solche Herausforderungen mögen wir besonders – mit verschiedenen Akteuren an den grossen Themen der Zeit zu arbeiten.

Welche gestalterischen Anforderungen stellen solche Orte? Gibt es gemeinsame Ansprüche?
Die Anforderungen sind zwar häufig ähnlich, allerdings unterscheidet sich die Priorisierung der Ansprüche von Ort zu Ort. Ein allgemeingültiges Rezept lässt sich dabei fast nicht formulieren. Ein zentraler Erfolgsfaktor scheint mir, dass öffentliche Plätze für alle Bevölkerungsgruppen – unabhängig von Alter, Mobilität oder sozioökonomischem Status – erreichbar, nutzbar und einladend sein sollten. Barrierefreiheit ist dabei nicht nur physisch zu verstehen, sondern auch im Sinne sozialer und kultureller Offenheit.

Was macht einen öffentlichen Platz erfolgreich?
Solche Plätze verfügen oftmals über einen ausgeprägten Identitätsbezug. Sie erzählen etwas über ihren Ort, seine Geschichte und Menschen. Ein guter Platz hat Charakter und Wiedererkennungswert. Er bietet den Menschen eine Bühne für Begegnung und schafft gleichzeitig ein Gefühl der Zugehörigkeit. Dabei ist nicht nur der öffentliche Raum entscheidend, sondern auch die Gebäude, die ihn aufspannen.

Wie lassen sich Mobilität und öffentlicher Raum in Einklang bringen?
Kurze Wege, hohe Nutzungsdichte und intelligente Verknüpfungen von Verkehrsmitteln machen das Auto in vielen Situationen überflüssig. Der gewonnene Raum kann für Begegnung, Erholung und städtisches Leben zurückgewonnen werden für eine Stadt, in der Mobilität und Lebensqualität keine Gegensätze sind, sondern sich gegenseitig bedingen.

Mit dem Projekt Sharehausen erprobte Schaffhausen mit Urbanista neue Formen geteilter Mobilität: Ein stationsbasiertes E-Trotti-Verleihsystem und zusätzliche Mobility-Standorte wurden eingerichtet.

Können Sie uns mehr über Ihr Projekt «Superblöcke» erzählen?
Das Superblock-Konzept, ursprünglich aus Barcelona stammend, ist ein Ansatz zur Neuverteilung urbaner Flächen, den wir bei Urbanista in mehreren Städten begleiten. Im Kern geht es darum, Durchgangsverkehr aus definierten Blockgruppen herauszunehmen und die gewonnenen Flächen für Menschen zu nutzen. Wo früher Autos parkten, entstehen Plätze, Grünflächen und Begegnungszonen. Für die Stadt Zürich haben wir ein massgeschneidertes Konzept entwickelt. Unsere Aufgabe bestand darin, geeignete Pilotstandorte zu identifizieren und deren Machbarkeit zu prüfen. Wir haben potenzielle Quartiere anhand von Kriterien wie Verkehrssicherheit und stadträumlichem Potenzial analysiert.

Wie stellen Sie sich den öffentlichen Raum der Zukunft vor? Gibt es Trends oder Entwicklungen, die wir in den nächsten Jahren verstärkt sehen werden?
In Städten wie Paris oder Barcelona lässt sich die Zukunft bereits beobachten: Klimaresilienz wird zum Gestaltungsprinzip. Plätze und Parks werden als Instrumente gegen Hitzeinseln und Starkregen konzipiert – mit Schwammstadt-Elementen, extensiver Begrünung und wassersensiblem Design, die Funktion und Nutzen verbinden. Die öffentlichen Räume werden zudem flexibler.

Wie zeigt sich das?
Dies zeigt sich vor allem in der bewussten Unvollständigkeit der Räume. Der öffentliche Raum der Zukunft wird nie «fertig» sein, sondern kontinuierliche Aneignung ermöglichen. Statt durchgestalteter Perfektion entstehen robuste Grundstrukturen, die von der Bevölkerung weiterentwickelt und umgedeutet werden können. Diese produktive Offenheit schafft Räume, die mit ihren Gemeinschaften wachsen. Und nicht zuletzt: Der öffentliche Raum wird inklusiver werden müssen – mit mehr Rücksicht auf die Bedürfnisse aller Altersgruppen, kulturelle Hintergründe und körperliche Voraussetzungen. Multicodierte Räume entstehen, die vielfältige Nutzungen ohne Dominanz zulassen.
urbanista.ch


 

Neueste Artikel

06-25 | Milano, ti ricordi?

Die Milano Design Week hat auch in diesem Jahr begeistert – so sehr, dass es uns selbst Wochen später noch leichtfällt, in diese inspirierende Zeit einzutauchen. Deshalb widmen wir diese Ausgabe ganz der Designwoche und teilen mit Ihnen einige unserer Fundstücke.

Schweiz in Szene

Wort: Paula Mühlena / Bild: Agnese Bedini, Alessandro Saletta Das House of Switzerland ist Treffpunkt zur Designwoche. In der Casa...

Individuelle Wellnessoase

Mit farbigen Akzenten, erstklassigen Materialien und modernster Technik wird Ihre Nasszelle zur ganz persönlichen Wellnessoase. Wir zeigen die Neuheiten.

Weitere Artikel