Ein See. Ein 3D-Drucker. Eine Idee.

Sie spricht über ihr Studium, ihre Arbeit, ihre Eltern. Den Blick dabei o en und wach. «Augen so blau wie ein Bergsee», geht es einem unweigerlich durch den Kopf. Ein kitschiger Vergleich, der nach Schmonzette klingt. Im Kontext aber erschliesst sich der Gedanke. Schliesslich ist die junge Designerin zu Besuch, um über ihr blau changierendes Porzellanobjekt «berg | see» zu sprechen. Erst wenige Wochen zuvor sind wir am Designers ́ Saturday in Langenthal darauf aufmerksam geworden. Vorsichtig hievt sie es aus dem Karton, der vor ihr auf dem Tisch steht.

Die ungewöhnliche Schale in Form eines Sees entstand ursprünglich im Rahmen ihrer Bachelor-Arbeit an der Hochschule Luzern, Studiengang Objektdesign. Fasziniert von der Möglichkeit, Gegenstände auch aus Porzellan 3D drucken zu können, wollte sie etwas Besonderes entwerfen. Ein Objekt, das den Brückenschlag zwischen maschineller Präzision und traditionellem Handwerk sichtbar macht. Ein Objekt, das 3D-Technologie mit Poesie verbindet. Ein Objekt, das einen Bezug zu ihrer Heimat schaut. «Um die digitale Technik selbst ging es mir hierbei nicht», gibt sie o en zu und legt nach: «Im Grunde habe ich daran wirklich null Interesse.» Vielmehr hat sie die Frage beschäftigt, was man mit einem 3D-Drucker modellieren kann, was an einer klassischen Drehscheibe nicht möglich ist. Objekte mit symmetrischer Form kamen von daher schon mal nicht infrage. «Ich bin eine begeisterte Berggängerin und dachte an Schweizer Gipfel», erklärt Nora. Den Gedanken verwarf sie aber schnell. Zu banal, zu plakativ. Daraus entwickelte sich allerdings eine andere Idee: Warum nicht etwas nachbilden, was normalerweise im Verborgenen liegt? Die unsichtbaren Tiefen eines Bergsees zum Beispiel?

Gleich mehrere Gewässer analysierte die 30-Jährige in ihrer Form. Anhand der digitalen Daten von Swiss-Topo, dem Bundesamt für Landestopografie, wählte sie schliesslich ihren Favoriten aus: den Oeschinensee. Oberhalb von Kandersteg gelegen und gesäumt von mehreren Dreitausen- dern (Doldenhorn, Fründenhorn, Oeschinenhorn, Blüemlisalp), zählt er zu den grössten Bergseen der Schweiz. Und gleichzeitig zu den wenigen, die mit einem Echolot vermessen wurden. Wenngleich nicht in seiner gesamten Tiefe, die 56m beträgt. Über die Jahrtausende hinweg setzte sich am Grund viel Sediment ab, das machte eine komplette Vermessung schier unmöglich. Nora musste improvisieren – und interpretieren: Sie analysierte den Verlauf der umliegenden Bergrücken und verlängerte deren Linien so, wie sie im See münden könnten.

Um die Form des Sees mittels CAD-Daten Schicht für Schicht in Porzellan aufzubauen, kam ein rudimentärer 3D-Drucker zum Einsatz, der unterschiedliche Materialien verarbeiten kann. Sei es essbarer Teig, Keramik oder eben Porzellan. Die Kartusche des Druckers füllte Nora – ihre Eltern sind übrigens beide Keramiker – mit entsprechender Masse. «Ich bin dabei wie beim Guetslibacken vorgegangen», erklärt die gebürtige Thurgauerin. Erst rollte sie das Porzellan wie einen Teig aus, dann verwendete sie die grosse, zylinderförmige Kartusche als Aus- stechform. Peu à peu schichtete sich darin das Porzellan, dem unregelmässig Farbpigmente beigemischt wurde. Beim Drucken selbst wurde die Masse dann durch eine schmale Düse herausgedrückt. Der Farbver- lauf: ein Zufallsprodukt.

Das Resultat kann sich sehen lassen. Die Schale «berg | see» hat uns prompt begeistert. Optisch durch die fein abgestuften Farbverläufe, die an Sedimentgestein erinnern. Haptisch durch die Rillenstruktur, die die Optik von Höhenkurven aufnimmt und einen rangierten Bezug zum topografischen Thema schafft. Zu Recht wurde das Objekt von Formforum, der Schweizer Plattform für Design und zeitgenössisches Kunsthandwerk, jüngst als «Masterpiece» ausgezeichnet.

 

Kaum in unserer Redaktion ange- kommen, fängt Nora an zu erzählen. Frisch von der Leber weg, beherzt, sympathisch.

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