Wort: Paula Mühlena / Bild: Rasc
Ein Gespräch mit der Regisseurin Beatrice Minger über ihren Film und eine besondere Auseinandersetzung mit Eileen Gray.
Am 28. November feiert der Film «E.1027 – Eileen Gray und das Haus am Meer» Kinopremiere in der Schweiz. Im Fokus der Dokufiktion steht eine Architektur – das avantgardistische Haus E.1027, das die irische Künstlerin, Designerin und Architektin Eileen Gray 1929 an der Côte d’Azur baute. Gleichzeitig eröffnet der Film inszenatorisch-mitreissend einen neuen Blick auf die Gedankenwelt der Nonkonformistin im männerdominierten frühen 20. Jahrhundert. Wir sprachen mit der Autorin und Regisseurin Beatrice Minger, die den Film mit Co-Regisseur Christoph Schaub umsetzte.
Der Film legt den Fokus auf das Haus von Eileen Gray. Sie war aber nicht nur Architektin. Wie wichtig war es, diesen Aspekt zu zeigen?
Wir haben uns auf die Architektur konzentriert. Das Haus E.1027 und die Geschichte rund um das Haus stehen im Zentrum. Um Eileen Grays Werk zu verstehen, ist es aber auch essenziell zu begreifen, woher sie kommt – nämlich von der Malerei und dem Möbeldesign. Sie kommt vom Kleinen ins Grosse, vom Inneren ins Aussen. Anfang des 20. Jahrhunderts war es Frauen nur erlaubt, im Innenraum, im domestizierten Raum, zu gestalten. Eileen Gray hat diese Grenze überschritten, ist in den öffentlichen Raum gegangen, hat ein Haus gebaut.
Was macht ihre Herangehensweise, ihr gestalterisches Profil aus?
Eileen Gray hatte eine unglaubliche Liebe zum Prozess, aber auch einen Drang, ihren Ausdruck zu finden und in die Welt zu setzen. Sie hat es nicht für sich selbst gemacht, nicht für die Anerkennung oder den Aufstieg. Sie hatte immer den Menschen mit seinen fundamentalen Bedürfnissen vor Augen. Sie war emotional, ihr Raumempfinden und ihre räumliche Wahrnehmung spielten eine grosse Rolle. Für sie sollte der Raum immer eine Verbindung mit dem Menschen eingehen und andersherum. Das war keine auferlegte Maxime, das war ein starkes inneres Empfinden. Noch besser kann man Eileen Gray verstehen, wenn man auch den Gegenpol versteht – Le Corbusier. Er hatte eine fundamental andere Herangehensweise. Ihn stelle ich mir vor, wie er draussen vor dem Haus steht und von aussen auf das Haus blickt. Mit der Mechanisierung und der Industrialisierung im Hinterkopf, will er standardisiert bauen – das Haus auf eine fassbare, multiplizierbare Box reduzieren.
Und Eileen Gray hat dabei nicht auch kommerziell gedacht?
Nein, Eileen Gray hatte ein ambivalentes Verhältnis zur Öffentlichkeit, hat sie nicht gesucht, gar vermieden. Sie hat früh gemerkt, was die öffentliche Aufmerksamkeit mit ihr machte. Es hat ihr, glaube ich, Unbehagen bereitet – dieses Ausgestellt-Sein, dieses Angeguckt-Werden, und damit Teil eines Meinungsdiskurses, einer normativen Ordnung zu werden. Sie hat sich immer dafür entschieden, frei zu bleiben und auch dadurch ein unglaublich eigenständiges Werk geschaffen, das Jahrzehnte später immer noch mit uns kommuniziert. Le Corbusier hingegen dachte sehr ausgeprägt kommerziell. Er wollte Teil des Kunstbetriebs werden. Er wurde schon früh zu einer Art Marke, arbeitete unter seinem Pseudonym, liess sich fotografieren, dokumentieren und schrieb Manifeste. Das war sehr öffentlichkeitswirksam.
Steht der Film stellvertretend für die damalige und letzten Endes auch für die heutige Zeit?
Wir sind alle Kinder der Zeit – das haben wir versucht, stark in den Film einzubringen. Es war historisch gesehen eine wahnsinnige Zeit zwischen zwei Kriegen. Auf der einen Seite neue Künste, auf der anderen Seite diese grosse Zukunftsangst, mit der Frage, wo es hingeht. Wenn man das abstrahiert betrachtet, haben wir heute eine gar nicht so unähnliche Situation. Die Kriege sind zurück. Damals war es die Spanische Grippe, heute haben wir gerade die Pandemie hinter uns. Die Industrialisierung brachte damals Angst, aber auch Euphorie hervor. Heute begegnet uns künstliche Intelligenz, die neue Ängste schürt und gleichzeitig neue Möglichkeiten eröffnet. In der Genderdebatte sind wir zum Glück an einem anderen Punkt, aber ich glaube, strukturell finden sich auch hier Parallelen. Diese Geschichte des kreativen Ausdrucks einer Künstlerin und der destruktiven Reaktion des gekränkten Genies finden wir heute noch genauso.
Kann uns Eileen Gray da nicht noch etwas beibringen?
Definitiv. Das wird mir im Nachhinein immer klarer. Es ist für mich so stark, was sie gemacht hat, so radikal. Sie hat sich dem Status- und Machtkampf entzogen und hat dem ein fundamental anderes Werk, eine andere Sprache und Haltung entgegengesetzt. Das heisst nicht, dass sie nicht gekämpft hat – aber für die Sache und nicht fürs Ego. Diesen Ausdruck zu finden, ohne Teil des Bestehenden zu werden, ohne sich innerhalb dessen durchsetzen zu wollen – da spüre ich ganz viel Potenzial, das inspiriert mich.
Der Film ist eine Dokufiktion. Wie sind Sie an die Balance zwischen dokumentarischen und fiktionalen Elementen herangegangen?
Wir haben einen dokumentarischen Zugang im Umgang mit der Fiktion gewählt. Wir haben darauf geachtet, Vorhandenes nicht zugunsten der Geschichte interessanter zu machen. Wir wollten die Architektur von den Figuren her füllen. So etwa auch bei Le Corbusiers übergriffigen, heute noch vorhandenen Wandmalereien: Was passiert da eigentlich in diesem Mann, der alles hat, der quasi der Zeus der modernen Architektur, der französischen Moderne ist. Der es aber nicht aushält, dass eine Frau ein solches Haus gebaut hat. Was hat dieser Akt emotional mit Eileen Gray gemacht? Dabei ging es uns nicht darum, die absolute Wahrheit zu verkünden, aber auch nicht darum jemanden zu entschuldigen. Uns war es wichtig, diese Widersprüchlichkeiten vielschichtig zu verstehen, weil man so auch über dieses schwarz-weiss-binäre Denken hinaus kommt. Und dadurch über die Architektur etwas über die Figuren und ihr Verhalten erfährt – und umgekehrt.
Zum Schluss: Wenn Sie Eileen Gray heute treffen könnten, welche Frage würden Sie ihr stellen?
«Was würdest du jetzt in dieser Welt machen wollen? Was wäre deine Antwort auf diese Welt heute?» Ich erinnere: Am Ende des Films zeigen wir das einzige filmische Dokument von Eileen Gray, in dem sie mit etwa 96 Jahren ohne jegliche Verbitterung auf ihre Laufbahn zurückblickt. Alles, was sie interessierte, war das nächste Projekt.
Über Beatrice Münger
Die Zürcherin studierte Filmwissenschaft, Germanistik und neuere Geschichte in Zürich, Berlin und Lausanne. Seit 2005 arbeitet sie an Kurzfilmen und Videoarbeiten. Ihr Langfilmdebüt «E.1027 – Eileen Gray und das Haus am Meer» wurde mit dem Zürcher Filmpreis 2024 ausgezeichnet.
Ab 28. November läuft der Film in den Schweizer Kinos.
filmcoopi.ch